Es regnete alles in allem Glücksmomente

17 Schauspielerinnen und Schauspieler und 5 Regisseure und Regisseurinnen liessen einen Text lebendig werden, indem sie Buchsequenzen in eine Erzählrhythmik brachten, mit ihrer Präsenz das Romanpersonal beseelten und dieses in eine packende Mentalitätsgeschichte der Stadt Zürich einbetteten.

Es regnete in Strömen, es war kalt, und der Reisebus war tatsächlich mit «ZSC Lions – MIR SIND ZÜRI» beschriftet. Der Start ins 12-stündige Theaterabenteuer «alles in allem 2019» schien nicht eben vielversprechend. Doch das kümmerte offenbar niemanden, auch nicht Premierengast Stadtpräsidentin Corine Mauch. Helferinnen und Helfer in blauen Westen walteten ihres Amtes, das Publikum hatte nur Augen für die Schönheit des Patumbah-Parks, und das schauspielende Personal trotzte der Witterung in Blümchenkleid oder gar barfuss. Alexander Pelichet, der Herr mit den nackten Füssen im Muschelbrunnen, meinte dazu: «Es war absolut berührend zu sehen, wie Peter sich freute, an diesem gerade für ihn besonders grossen Tag. Ich hätte alles gegeben, dass er gelingt, und meine kalten Füsse waren da ein bescheidener Beitrag.»

Dennoch murrte niemand, als es bald trocken weiterging. Das Gasi-Museum in Schlieren war gleichzeitig Lunchort, wobei dort zunächst nur die Würstchen auf dem Grill an der Wärme waren. Später dann öffneten drei Säle der Kaserne eigens für die Theatergesellschaft ihre Tore. In einem dieser Säle, der Polithek der Kantonspolizei, erwachten die grandiosen Schabkartonbilder des Zürcher Künstlers Hannes Binder, welche dieser für die Theaterreise und die neuste Buchausgabe von «Alles in Allem» schuf, zum vielapplaudierten Leben. Und im Zehntenhaus in Affoltern wurde sogar eine schicke Party gefeiert, mit Sofa, Charleston und Trallalla.

Eine besondere Herausforderung wurde die Etappe im Seewasserwerk Moos. Immerhin ging es per Lift in einer Minute 80 Meter in die Tiefe, in den Stollen, der den Anfang der Verbindung zum Reservoir Lyren markiert. Trotz freundlichem Empfang durch Helferinnen und Helfer in neckischen roten Liftboyhütchen, drehten kurz vor dem Lift zwei Besucherinnen ab. Alle anderen erlebten im unwirtlich kühlen Tunnel, eingemummelt in warme Decken, die Magie der Imagination, angeregt durch die Schauspielerinnen und Schauspieler und die Klänge des musikalischen Reisebegleiters, des Vielinstrumentalisten Martin Schumacher.

Als sie wieder an der Erdoberfläche auftauchten, waren 11 Stunden seit dem Start der Reise vergangen, aber die Gruppe war animiert, vergnügt, quicklebendig. Sie wurde zum letzten Höhepunkt im Kulturmarkt erwartet, wo man die gemischtreligiöse Hochzeit zwischen einem jüdischen Secondo und der Tochter einer schweizerisch-deutschen Liaison feierte.

Fernando Pessoa hat den wohl schüchternsten Helden der Weltliteratur, den Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, sinngemäss sagen lassen, er brauche nicht zu reisen, es genüge ihm, am Bahnhof in die Augen der Reisenden zu schauen. Blickte man spätabends am Schluss der letzten Etappe in die Augen des Publikums wusste man, was eine Zuschauerin wie folgt formulierte: «Es war einfach fantastisch!»